Karlsruhe diskreditiert Europäisches Parlament

3 Prozent

Ende Februar hat das Bundesverfassungsgericht ein historisches Urteil gefällt - und damit gleichzeitig dem Europäischen Parlament die Anerkennung verweigert, die es sich in den vergangenen Jahren verdienterweise erarbeitet hat: Bei der kommenden Wahl zum Europäischen Parlament, die am 25. Mai 2014 stattfindet, wird es keine 5%-Hürde und nun auch keine 3%-Hürde mehr geben. Auf den ersten Blick sieht dies wie ein Gewinn für die Demokratie aus, weil nun keine Stimmen mehr verloren gehen und jede Partei, die etwa 1% der Wählerstimmen hinter sich vereinen kann, ins Europäische Parlament ziehen kann. Faktisch schwächt dieses Urteil jedoch die Handlungsfähigkeit des Europäischen Parlaments und damit auch die Demokratie in Europa.

Zwar ist es richtig, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments keine handlungsfähige Regierung unterstützen müssen und daher - so die Kritiker einer Sperrklausel - eine stabile Mehrheit bei den Abstimmungen nicht erforderlich sei. Nichtsdestotrotz hat das Europäische Parlament in den vergangenen Jahren zunehmend an Kompetenzen hinzugewonnen. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt dies selbst in seinem Urteil vom 26. Februar 2014. Mehr als drei Viertel aller Gesetzgebungsvorhaben werden seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im so genannten Mitentscheidungsverfahren entschieden: Das Europäische Parlament ist gleichberechtigter Gesetzgeber gemeinsam mit dem Rat, also den Vertretern der Mitgliedstaaten. Es wählt den Präsidenten der Europäischen Kommission und erstellt den jährlichen Haushaltsplan der Europäischen Union.

Das Argument, dass eine Funktionsbeeinträchtigung des Europäischen Parlaments durch den Einzug neuer Parteien nicht zu erwarten sei, weil es im Europäischen Parlament schließlich bereits mehr als 160 nationale Parteien gebe, hält einer Überprüfung ebenfalls nicht Stand: Mitglieder unterschiedlichster Fraktionen haben bei der mündlichen Verhandlungen im Vorfeld des Urteils klar geäußert, dass es bei den bestehenden Fraktionen keine Bereitschaft gebe, national konkurrierende Parteien aufzunehmen. Immerhin wären ohne eine Sperrklausel bei der Wahl 2009 die Mitglieder sieben weiterer Parteien aus Deutschland ins Europäische Parlament eingezogen. Die beiden größten Fraktionen verfügen bereits heute über lediglich 61% der Sitze. Ohne Sperrklausel in Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien würde dieser Anteil auf gut 56% sinken - handlungsfähige Mehrheiten wären zunehmend erschwert zu erreichen.

Wir brauchen jedoch ein handlungsfähiges Europäisches Parlament: Nur so kann der Stimme der Bürger ein tatsächliches Gewicht in den Verhandlungen mit den Vertretern im Rat verliehen werden. Nur so schaffen wir es, den teilweise absurden Vorstellungen der Europäischen Kommission Kontra zu geben. Nur so stärken wir tatsächlich die Demokratie in Europa. Es bleibt abzuwarten, wie das kommende Europäische Parlament aussehen wird. Eines steht jetzt bereits fest: Es wird anders werden und Deutschlands Einfluss wird durch Splitterparteien abnehmen. Nicht umsonst gibt es in allen anderen Mitgliedsstaaten rechtliche oder - durch Wahlkreise - faktische Sperrklauseln.