Sommer 2019

Bestandsaufnahme nach der Wahl

Bestandsaufnahme nach der Wahl

Seit nunmehr 20 Jahren darf ich Bayern im Europäischen Parlament vertreten. In diesen Jahren haben wir in Europa viel positiv gestaltet, den Euro trotz Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise stabil gehalten, internationale Handelsverträge geschlossen und Bürgerrechten, insbesondere im Verbraucherschutz, einen höheren Stellenwert verschafft. In meiner Zeit als Europaabgeordnete wurde auch das Europaparlament deutlich gestärkt insbesondere im Bereich der Gesetzgebung. Doch die jüngste Entscheidung der Mitgliedstaaten, keinen Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu benennen, zeigt jedoch, dass wir Parlamentarier weiter für ein demokratisches Europa, in dem das Parlament als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger die zentrale Rolle spielt, kämpfen müssen.

Wir müssen den Spitzenkandidatenprozess in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Ich könnte mir vorstellen, dass wir ein Verfahren entwickeln, nach dem zuerst das Europaparlament per Abstimmung klärt, ob einer der Spitzenkandidaten eine Mehrheit im Parlament erhält und dann die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie den Kandidaten mittragen oder gegen diesen ein Vetorecht einlegen. Wir sollten das Verfahren, wie es derzeit gilt, also umdrehen: Derzeit schlagen die Staats- und Regierungschefs vor, das Parlament stimmt dann über den Vorschlag ab.

Ist ein solcher Vorschlag realistisch? Ich glaube, wir müssen in den nächsten Jahren auch an eine Reform unserer Verträge herangehen. In der Außenpolitik wollen wir von der Einstimmigkeit bei Entscheidungen der Mitgliedstaaten auf Mehrheitsentscheidungen übergehen, um in der Welt als Europäer auch handlungsfähiger zu werden. Auch fordern wir seit Langem ein Initiativrecht für das Parlament. im Zuge einer solchen Vertragsreform, z. B. im Rahmen eines Konvents, könnte dann auch der Spitzenkandidatenprozess entsprechend weiterentwickelt werden.

Ursula von der Leyen ist zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt worden. Damit wird erstmals eine Frau an der Spitze der mächtigen Brüsseler Behörde stehen. Wir erwarten von der Kommissionspräsidentin, dass sie uns bei diesem Anliegen unterstützt und sie schon bald konkrete Vorschläge zur Stärkung des Spitzenkandidatenprozesses vorlegt.