Russische Streitkräfte sind am 24. Februar in die Ukraine grundlos einmarschiert. Dieser russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist erschütternd, macht fassungslos. Jeden Tag aufs Neue berühren mich die furchtbaren Bilder aus der Ukraine und die Besorgnis über die fortgesetzte, menschenverachtende Offensive von Putin, die unschuldige Männer, Frauen und Kinder in den Tod reißt. Kein Thema beschäftigt uns im Europäischen Parlament im Moment so sehr wie die russische Invasion in die Ukraine und die Folgen für uns in der EU.
Kurz nach dem Einmarsch richtete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine bewegende Ansprache an das Plenum des Europäischen Parlaments. Seine Worte haben gezeigt, dass sich die Ukraine derzeit nicht nur gegen Russland verteidigt, sondern vor allem auch für etwas kämpft: für Freiheit, für Demokratie, für Menschenrechte und für Europa. Wir müssen der Ukraine deshalb mit allen „zivilen“ Maßnahmen zur Seite stehen und gleichzeitig die Auswirkungen auf unsere Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft abfedern. Dafür werden wir Einfallsreichtum, Mut und einen langen Atem brauchen. Die Entschlossenheit und der Zusammenhalt der vergangenen Tage und Wochen in Europa war in diesen traurigen Zeiten immerhin ein Lichtblick.
Denn die Maßnahmen, auf die sich die EU geeinigt hat, treffen Russland hart und sprechen eine unmissverständliche Sprache. Die Sanktionen umfassen bisher unter anderem folgende Maßnahmen:
Doch mit diesen Maßnahmen darf unsere Hilfe nicht enden. Wir müssen noch mehr machen, um diesen unsinnigen Krieg zu stoppen. Ich halte es für richtig, Waffen in die Ukraine zu liefern. Die EU-Kommission koordiniert zudem die Bereitstellung von Hilfsgütern für die Ukraine über das EU-Katastrophenschutzverfahren. Außerdem wurden 500 Mio. Euro aus der Europäischen Friedensfazilität freigegeben, um militärische Ausrüstung zur Verteidigung der Ukraine zu kaufen. Dieser Betrag wird mit mindestens 500 Mio. Euro aus dem EU-Haushalt aufgestockt, um die humanitären Folgen der russischen Invasion sowohl im Land als auch für die Flüchtlinge zu bewältigen.
Abgesehen davon müssen wir den Menschen Schutz bieten, die vor den Bomben Russlands fliehen. Die EU-Mitgliedstaaten haben deshalb einen Mechanismus aktiviert, der es ermöglicht, dass Kriegsflüchtlinge schnell und unbürokratisch in EU-Staaten aufgenommen werden. Drei Millionen Menschen sind bisher aus der Ukraine geflohen, fast die Hälfte davon Kinder.
Die allermeisten Menschen aus der Ukraine kommen bisher in Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien bei Verwandten oder Privatpersonen unter. Abhängig von der Entwicklung der militärischen Lage kann sich das allerdings schnell ändern. Deswegen müssen wir in jedem Fall darauf pochen, dass es eine ordnende Koordinierung bei der Aufnahme der Flüchtenden gibt und die hilfesuchenden Menschen auf die Mitgliedstaaten nach einem vereinbarten Schlüssel aufgeteilt werden.
Dieser Krieg geht uns alle etwas an und er wird uns alle in Europa treffen. Die große Hilfsbereitschaft im Lande ist beeindruckend! Ich danke allen Bürgerinnen und Bürgern, die spenden, Hilfsgüter bereitstellen, Flüchtende aufnehmen oder auf die Straße gehen, um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Mittel- und Langfristig ist es entscheidend, dass wir die richtigen Schlüsse aus dieser historischen Krise ziehen.
Kurzfristig müssen wir vor allem sicherstellen, dass es in Europa in Zukunft nicht kalt und teuer wird. Das bedeutet nicht, dass wir die Energiewende in Europa auf die lange Bank schieben dürfen. Im Gegenteil: Erneuerbare Energien sind der Weg aus der Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland. Dennoch muss die Energieversorgung für den Übergang verlässlich und bezahlbar bleiben. Die Europäische Kommission und die Regierungen der Mitgliedsstaaten müssen nun alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Preise zu stabilisieren. Uns steht auch eine Zeitenwende in der europäischen Wirtschaft- und Industriepolitik bevor. Deshalb ist es jetzt wichtig, ein umfassendes Moratorium für legislative Vorschläge auf Bundes- und Europaebene zu beschließen, also Initiativen zu verschieben oder Regeln auszusetzen, die Unternehmen in dieser Zeit des Umbruchs unnötig belasten.
Mittelfristig müssen wir die europäische Sicherheitsarchitektur auf neue Beine stellen. Die Erhöhung des Verteidigungsbudgets kann nur ein Teil der Lösung sein. Denn häufig ist es vor allem die grenzüberschreitende Bürokratie und sind es die fehlenden militärischen Schnittstellen, die gemeinsames militärisches Agieren erschweren. Eine Lehre aus diesen schwierigen Zeiten muss sein, die Kooperation und Koordination unserer 27 Armeen weiter zu institutionalisieren, zu vereinfachen und drastisch zu verstärken. Wir brauchen eine europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungsunion, die diesen Namen auch verdient.
Langfristig stehen viele Fragen an. Alle Gewissheiten stehen auf dem Prüfstand. Im Europäischen Parlament haben wir gefordert, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu geben. Ich bin dagegen, in einem beschleunigten Verfahren die Ukraine oder weitere Kandidatenländer als Mitglieder in die EU aufzunehmen. Wer aber die Kriterien für die Aufnahme erfüllt, soll uns willkommen sein. Denn die Ukraine hat eine europäische Perspektive mehr als verdient. Sie ist Teil der europäischen Familie.
Doch zu allererst gilt es, den grausamen Krieg in der Ukraine zu beenden. Das menschliche Leid ist unerträglich wie auch die Zerstörung in der Ukraine. Daran werden wir in den kommenden Tagen und Wochen mit Hochdruck weiterarbeiten.